Performance
Process

Eine Kooperation des Museum Tinguely,
der Kaserne Basel
und der Kunsthalle Basel,
in Partnerschaft mit dem Centre culturel suisse Paris

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«Gemeinsame Augenblicke der Freiheit»

Der Choreograf und Tänzer Foofwa d'Imobilité im Gespräch mit Dominikus Müller.

Dominikus Müller: Foofwa d’Imobilité, worin unterscheidet sich das Tanzen auf der Straße vom Tanzen auf einer Bühne?

Foofwa d’Imobilité: In der Regel tanzt man an einem bestimmten Ort — meist auf einer Bühne. Aber auch die größte Bühne hat ihre Grenzen, man kann sie diagonal durchtanzen oder an den Rändern entlangtanzen, aber mehr geht nicht. Außerdem dauert ein normaler Tanz eine Stunde, vielleicht auch mal zwei, aber nicht länger. Bei den von mir so genannten «Dancewalks» möchte ich diesen festen Rahmen verlassen. Bei diesen Stücken spaziere ich tanzend auf einer vorher festgelegten Strecke — hier sprengt der Tanz die üblichen Grenzen von Raum und Zeit. In Basel werde ich unter anderem einen Dancewalk entlang der Grenze zwischen Basel-Stadt und Basel-Landschaft machen. Insgesamt sind das 16 Kilometer – es ist zwar nicht mein längster Dancewalk, aber einer mit viel Substanz. Die Distanz hier wird von der Länge der Grenze bestimmt, und die Dauer des Stückes hängt davon ab, wie lange man braucht, um diese Strecke zurückzulegen.

DM: Hier wird Tanzen also offener und flexibler interpretiert. Deine Bewegungen und auch deine aktuelle körperliche Verfassung beeinflussen nicht nur die Dauer, sondern auch das Wesen des Stücks. 

Foofwa: Die Dancewalks fordern eine gewisse Anpassungsfähigkeit. Sie können sich verändern. Ursprünglich habe ich «Dance runs» gemacht: schneller, kürzer, aber im Grunde dieselbe Idee. Dancewalks dagegen ermöglichen es mir, Zeit und Raum noch weiter auszudehnen, weil sie viel langsamer sind. Und sie ermöglichen es den Menschen, mir zu folgen. In Basel werde ich einen kostenlosen Workshop anbieten, bei dem ich den Teilnehmern die Idee vorstelle und mit ihnen das «dancewalking» übe. Das kann wirklich jeder, alle können mitmachen. Außerdem bietet Johanna Heusser, eine Tänzerin aus Basel, mit der ich schon mehrfach zusammengearbeitet habe, zusätzlich einen Workshop für Kinder an. Diese Kinder nehmen dann auch am Dancewalk teil. 

DM: Damit gibt es auch einen fließenden Übergang zwischen Tänzern und Publikum? 

Foofwa: Genau. Und ich werde so etwas wie der Leiter der Gruppe. Die Dancewalks sind im Grunde offen für alle. Es gibt keine vorgegebene Choreografie. Grundsätzlich sind die Menschen frei, nach ihren eigenen Vorstellungen zu tanzen. Wenn man Teil einer solchen Tanztruppe ist, verändert sich die Wahrnehmung der Stadt und der Rolle des Körpers darin deutlich. Bei einem Dancewalk in Moskau sagte eine Frau zu mir: «Weißt du was, Moskau fühlt sich immer so schwer an. Wir fühlen uns hier nicht frei.» Die drei oder vier Stunden, in denen sie sich mit den anderen in ihrer Stadt so bewegen konnte, wie sie wollte, empfand sie als großes Geschenk! Bei den Dancewalks geht es insbesondere um solche gemeinsame Augenblicke der Freiheit. In Soweto, wo ich auch einen Dancewalk organisiert habe, sagten mir die Menschen, dass sie diesen als ein Feiern des Lebens, ihrer Stadt und ihres Quartiers empfunden haben. Es gibt kein Programmheft, keine Erklärung, keine Interpretationsansätze — letztlich gibt es keinerlei Vorgaben. Und in diesen Augenblicken scheinen die Teilnehmer wirklich in einen Zustand zu kommen, den man «frei» nennen könnte. Das ist eine wunderbare Erfahrung für die Menschen, und ich genieße das total — jenseits konzeptioneller und ästhetischer Grenzen.

Web3 Dancewalk

Foofwa d'Imobilité auf einem seiner «Dancewalks»

DM: Der Dancewalk ist nicht Dein einziges Projekt für PerformanceProcess

Foofwa: Ich bringe mich mit vier verschiedenen Elementen ein. Zum einen sind da der Live-Dancewalk in Basel und die Dokumentation eines anderen Dancewalks, bei dem ich das Opernhaus in Paris 2016 innerhalb eines Tages hundert Mal umrundet habe. Außerdem gibt es eine Bühnenproduktion mit dem Titel Condanced Histories, die sich mit der Geschichte des Tanzes beschäftigt. Und außerdem ist da noch D.A.I., Dancing Artificial Intelligence, ein intelligenter Tanzroboter. 

DM: Was ist denn das? Das klingt ja spannend!

Foofwa: D.A.I. ist eine Koproduktion unserer Tanzkompanie mit den Künstlern Jonathan O’Hear, Martin Rautenstrauch und Tim O’Hear. Ich gebe hier nur meinen philosophischen und choreografischen Ansatz weiter. Der Roboter versucht, meinen Ansatz beim Tanzen zu lernen — das ganze Projekt ist geprägt von viel Improvisation und Spontaneität. Es ist schwer, das genauer zu beschreiben. 

DM: Kannst Du etwas mehr zu Deinem Ansatz beim Tanzen erzählen? 

Foofwa: Ich möchte eigentlich immer weniger reproduzierend tanzen. Natürlich braucht man gewisse Techniken und muss man Dinge wiederholen, um ein gewisses Qualitätsniveau zu erreichen. Aber ich komme immer mehr zu der Überzeugung, dass die Tatsache, dass Menschen Lebewesen sind, mindestens ebenso wichtig sein sollte. Jeder von uns ist ein einzigartiges menschliches Wesen, und jeder von uns bewegt sich anders. Mein Körper, mein Körperbau, meine Psyche und auch meine täglichen Stimmungen sowie mein Lebensumfeld und meine konkreten Lebensumstände — sie alle haben gewaltigen Einfluss auf meine Bewegungen. Und für mich ist es sehr wichtig, sich all dieser Faktoren bewusst zu sein. Meiner Ansicht nach sollten wir als Künstler und Tänzer uns der Einzigartigkeit eines jeden Körpers und des Einflusses, den jede Situation auf die Entstehung von Bewegung hat, bewusst sein.

DM: In einigen Stücken beschäftigst Du Dich mit der Geschichte des Tanzes. Wie passen Geschichte und Erinnerung in das Bild vom Hier und Jetzt als einzigartige Situation? 

Foofwa: In gewisser Weise sind Erinnerung und Reproduktion über die Generationen hinweg schon wichtig. Jeder von uns hat diese großen Referenzpunkte aus der Vergangenheit — aber auch hier bin ich der Meinung, sie sollten als etwas Lebendiges betrachtet werden. Die Industrialisierung und die Möglichkeiten der mechanischen Reproduktion ließen uns alle immer mehr zu Maschinen werden — reproduzierende Maschinen. Meiner Ansicht nach leiden sehr viele Tänzer darunter. Zunehmend müssen sie wie Maschinen funktionieren und nicht wie menschliche Wesen und lebendige Körper, die den Bewegungen Leben einhauchen. Das finde ich sehr schade. Bei einer genaueren Betrachtung der Geschichte des Tanzes, bei Ruth St. Denis oder Isadora Duncan beispielsweise, findet man die Idee von Reproduktion und Wiederholung als kreativen Akt. Aber dieser Gedanke ist zumindest teilweise im Laufe der Zeit verloren gegangen. Ich versuche, ihn wieder aufzugreifen. Hinter einem Dancewalk steht vielleicht ein sehr einfaches Konzept, aber jedes Mal ist er anders. Er ist praktisches Tun, und er ist jetzt. Natürlich beeinflusst das, was ich gestern gemacht habe, mein Handeln heute, aber ich versuche nicht, das Gestrige zu reproduzieren. Jeden Tag bin ich an einem neuen Ort, und jeder Tag ist ein neuer Tag und sind Situation und Kontext anders. Und das macht das Leben so wenig vorhersagbar — es ist in einem stetigen Wandel. Und es ist immer voller Überraschungen. 

Der «Dancewalk» von und mit Foofwa d'Imobilité findet am Dienstag, 26. September 2017 ab 14 Uhr statt. Der Walk dauert cirka vier Stunden, der Aus- und Einstieg ist jederzeit möglich. Mehr Informationen auf der Website der Kaserne Basel.


Das Stück «Condanced Histories» wird am Mittwoch, 27. September um 20 Uhr in der Kaserne Basel aufgeführt.



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