Performance
Process

Eine Kooperation des Museum Tinguely,
der Kaserne Basel
und der Kunsthalle Basel,
in Partnerschaft mit dem Centre culturel suisse Paris

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«Bei der Performancekunst gefällt mir einfach diese Kombination: Man muss sehr konzentriert arbeiten — und gleichzeitig alles loslassen.»

Die Künstlerin Anne Rochat im Gespräch mit Dominikus Müller.

Dominikus Müller: Anne, bei mehreren Performances zerreißt du mit dem Mund Dinge — ein Shirt zum Beispiel. Was ist das Besondere am Mund? 

Anne Rochat: Ja, bei meinen ersten Performances habe ich viel mit dem Mund gemacht. Das gesprochene Wort hat immer so viel Gewicht. Aber ich versuche, den Mund in seiner Primärfunktion, wie ein Tier, einzusetzen. Ich suchte eine Ausdrucksform für eine Idee, die vielleicht etwas grob und brutal ausfiel, aber ohne Worte, ohne Sprechen auskommt. Es geht dabei um Unmittelbarkeit, darum, sich so direkt wie möglich auszudrücken: Ich möchte ganz in der Aktion aufgehen und ganz mein Körper sein. Hätte ich währenddessen die Zeit, mich in meinem Tun zu beobachten, dann wäre es eine schlechte Performance. 

DM: Warum wäre das dann eine schlechte Performance? 

AR: Weil ich dann fehl am Platz bin. Meine Arbeiten sind meist sehr fragil. Es geht dabei um den feinen Unterschied zwischen „Das Richtige am richtigen Ort machen“ und „Einfach nur an irgendeinem Ort sein“. In vielen meiner Arbeiten möchte ich die Grenzen des Körpers ausloten und über diese Grenzen hinausgehen. In solchen Extremsituationen gibt es nur den Augenblick. Man ist man in einem anderen Bewusstseinszustand. Um dahin zu gelangen, muss man letztlich das Denken ausschalten und ganz auf seine Instinkte hören. 

Anne Rochat Blumer 2010  La Piscine Orbe

Anne Rochat, «Blumer» (2010)

DM: Du möchtest über die Grenzen Deines Körpers hinausgehen — bei Deiner Performance «3MAT» (2015) bist Du durch einen 13 Kilometer breiten See geschwommen. Treibst Du viel Sport? 

AR: Jedes Projekt ist in drei Phasen unterteilt: das Projekt selbst, die Phase davor und die Phase danach. Für mich ist das Training in der Phase davor sehr wichtig, es gehört als fester Bestandteil zu meiner Arbeit. Für 3MAT bin ich drei bis vier Mal pro Woche vier Kilometer geschwommen. Ich beiße mich gerne an einer Idee fest; dann muss ich überlegen, wie ich sie umsetzen kann, um das dann auch durchzuziehen. Es ist irgendwie, als verwandle man sich für eine Zeit lang in jemand anderes — in diesem Fall war ich ein paar Monate lang ein ganz sportlicher Mensch. 

DM: … und wen gab es da sonst noch so? 

AR: Für die Mund-Stücke wurde ich zu einem Wolf. Bei einer Performance in einem Museum riss ich mit dem Mund fünf Stunden lang den Teppich des Museums heraus. Ich hielt nicht ganz bis zum Ende durch, so anstrengend war das. Während der Performance geriet ich in einen Trancezustand und war wie ein Hund. 

DM: Wie fühlt es sich an, ein Tier zu werden? 

AR: Eigentlich sind wir doch alle Tiere, oder? Tiere mit ganz vielen Konventionen, die wir uns zugelegt haben, um in der Gesellschaft leben zu können. Aber im Grunde sind wir Tiere, davon bin ich überzeugt. 

DM: Hast Du eine feste Choreografie für Deine Stücke?

AR: Nein, überhaupt nicht — denn ich weiß absolut nicht, was im Laufe meiner Performance geschehen wird. Natürlich bereite ich mich mental darauf vor. Für die Mund-Stücke zum Beispiel habe ich mir mehrere Dokumentationen über Tiere angeschaut, um mich in diese besondere Stimmung zu versetzen. Aber während der Performance geschieht alles spontan aus mir heraus.

DM: Ist es wichtig, dass nur Du die Performance machst? Oder könntest Du Dir vorstellen, zusammen mit anderen zu performen?

AR: Ich würde wirklich gerne öfter etwas mit anderen zusammen arbeiten. Aber eine Performance, so wie ich sie mir vorstelle, ist extrem schwer zusammen mit anderen zu machen. Denn jeder von uns fühlt seinen Körper ganz anders und nimmt ihn auch anders wahr — und das kann man nicht teilen. Mein Körper ist ein Werkzeug, und dieses Werkzeug kenne ich sehr gut. Arbeiten kann ich nur mit meinem eigenen Körper, und auch nur ihn kann ich austesten. 

DM: Hast Du Dich schon mal verletzt?

AR: Nein, das würde ich nie tun. Ich habe keine masochistische Beziehung zu meinem Körper. Natürlich kann schon mal versehentlich etwas passieren, wenn man nicht gut genug vorbereitet ist. Bei der Performancekunst gefällt mir einfach diese Kombination: Man muss sehr konzentriert arbeiten — und gleichzeitig alles loslassen. 

Anne Rochat & Laurent Bruttin zeigen am 18. November 2017 von 13-18 Uhr die neue Performance «Klingende Nacht» im Museum Tinguely.



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