Performance
Process

Eine Kooperation des Museum Tinguely,
der Kaserne Basel
und der Kunsthalle Basel,
in Partnerschaft mit dem Centre culturel suisse Paris

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Die Kuratorinnen und Kuratoren im Gespräch

Performancekunst scheint die Kunst der Stunde zu sein. Aber welche Rolle spielt die körperliche Präsenz im digitalen Zeitalter? Und in welcher Beziehung steht Performance zu ihrer Dokumentation und zu den sozialen Medien? Die vier Kuratorinnen und Kuratoren von PerformanceProcess sprechen mit Dominikus Müller über ihre Zusammenarbeit, über die unterschiedlichen Ausrichtungen ihrer Institutionen und darüber, warum Performancekunst so gut in unsere Zeit passt.

Dominikus Müller: Bei PerformanceProcess präsentieren drei der grossen Kulturinstitutionen in Basel – die Kunsthalle Basel, die Kaserne Basel und das Museum Tinguely – zusammen einen Überblick über die Schweizer Performancekunst von 1960 bis heute. Welche Ausgangsidee stand hinter diesem Vorhaben?

Olivier Kaeser: Die Idee zu PerformanceProcess in Basel geht zurück auf ein Projekt aus dem Jahr 2015 mit eben diesem Titel am Centre culturel suisse in Paris. Mein Co-Kurator Jean-Paul Felley und ich versuchten in einem dreimonatigen Programm, die Geschichte der Performance von Schweizer Künstler_innen von den frühen 1960er-Jahren bis heute nachzuzeichnen. Zusammen mit Philippe Bischof, dem Leiter der Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt, schlugen wir dann vor, eine neue Version des Projektes mit verschiedenen Partnern in Basel umzusetzen.

Elena Filipovic: Das Projekt in Paris gab den Namen und lieferte die Initialzündung für die Neuauflage, die aber anders und breiter angelegt ist. Zunächst einmal sind drei grundlegend verschiedene Institutionen beteiligt: ein Museum mit einer Sammlung, eine Kunsthalle für temporäre Ausstellungen und ein Haus für performative Künste. Und das heisst: Es gibt drei sehr unterschiedliche Entwicklungsgeschichten und völlig verschiedene institutionelle Formate, ein jeweils anderes Publikum und unterschiedliche Perspektiven – was sehr spannend ist. In der Kunsthalle Basel planen wir beispielsweise weder ein «Festival» noch eine blosse Veranstaltungsreihe. Wir versuchen, Performancekunst innerhalb der Rahmenbedingungen einer Ausstellung zu denken, jedoch ohne Dokumente, Requisiten oder Spuren vergangener Performances auszustellen. Stattdessen stellen wir die Performances selbst in den Mittelpunkt einer einmonatigen Ausstellung, die mit der Museumsnacht Basel eröffnet wird und mit dem Morgestraich endet. Damit verbinden wir unser Projekt mit den Performancetraditionen von Basel und seiner Fasnacht. 

Séverine Fromaigeat: Für das Museum Tinguely ergab sich die Verbindung zum Projekt von selbst, denn Jean Tinguely, eine bedeutende Figur der Schweizer Performancekunst, war rein zeitlich betrachtet der Ausgangspunkt für das gesamte Konzept der Pariser Version von PerformanceProcess. 1960 präsentierte Tinguely am Museum of Modern Art in New York seine Homage to New York, seine erste spektakuläre selbstzerstörende Aktion. Er war ein Pionier sowohl der Performancekunst als auch der destruktiven Kunst, sein Werk ist Bezugspunkt für viele spätere Arbeiten, etwa von Fischli/Weiss oder Roman Signer. Im Museum Tinguely nähern wir uns dem Thema auf mehreren Ebenen: Wir werden der Geschichte der Performancekunst in der Schweiz mit Kunstwerken, Dokumenten, Videos und Archivmaterial nachspüren, und wir werden neben dieser musealen Ausstellung Live-Performances präsentieren, die die Verbindung zwischen der Geschichte und dem Heute aufzeigen.

Tobias Brenk: Die Kaserne Basel ist primär Theater und Konzertraum, somit bietet Performancekunst für uns die Möglichkeit, die Einschränkungen dieses Kontextes hinter uns zu lassen. Wir werden unter anderem Performances in der Stadt organisieren. Da ist zum Beispiel Foofwa d’Imobilité,der auf der Grenze zwischen den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Landschaft tanzen wird, um damit diese Grenze sichtbar zu machen. Das wirft die Frage auf: Was ist das für eine Geste? Theater? Politik?

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Die Kurator_innen von PerformanceProcess (v.l.n.r.): Olivier Kaeser (CCS), Séverine Fromaigeat (Museum Tinguely), Elena Filipovic (Kunsthalle Basel), Tobias Brenk (Kaserne Basel). Foto: Sonja Thoms

Dominikus Müller: Gibt es heute tatsächlich noch so grosse und grundsätzliche Unterschiede zwischen einem Museumsraum und einem Theater hinsichtlich der Frage, wie Performancekunst präsentiert wird?

Tobias Brenk: In einem Theaterraum wie der Kaserne ist die Situation ganz anders als in einem Museum oder in einer Kunsthalle. Die Kaserne stellt die klassischen Kategorien von Theater infrage; in unserem Programm finden sich Konzerte, Performancekunst, Choreografien und andere Kunstformen zwischen den verschiedenen Genres. Wer ins Theater geht, erwartet gewisse Gegebenheiten: eine bestimmte Dauer und einen klar definierten Bühnenraum beispielsweise, und meist kann man sich als Zuschauer_in auch nicht frei bewegen. Aber auf der anderen Seite schafft Theater auch ein anderes Bewusstsein für politische Fragen. Die typischen Merkmale eines Theaterraumes lassen eine ganz besondere und dynamische Beziehung zwischen den Beobachtenden und den Beobachteten entstehen – und darin liegt ein grosses politisches Potenzial.

Elena Filipovic: Egal wie radikal die Inhalte in ihren jeweiligen Kontexten sind, es gibt, wie das Tobias schon gesagt hat, wichtige Unterschiede zwischen unseren jeweiligen Feldern. Es scheint vielleicht ganz offensichtlich, aber man sollte es doch einmal aussprechen: In einer Ausstellung ist die Aufenthaltsdauer der Besucher_innen nicht festgelegt, es gibt keine Bühne, keine Frontalsituation. Das Publikum bewegt sich aus eigenem Antrieb durch den Raum, der ursprünglich für klassische Malerei und Skulpturen geschaffen wurde – Dinge, die sich traditionell nicht bewegen, nicht leben oder atmen, so wie Körper das tun. So sehr wir auch mit diesen Rahmenbedingungen spielen und versuchen, diese Gewohnheiten zu ändern, die Menschen haben trotzdem ganz tief in ihnen verwurzelte Erwartungen, und genau diesem Unterschied zwischen institutionellen Formen können wir durch diese Zusammenarbeit von verschiedenen Institutionen auf den Grund gehen.

Olivier Kaeser: Als wir unsere Version von PerformanceProcess in Paris planten, wollten wir in einem Projekt und auf einer Ebene darüber nachdenken, wie unterschiedliche Formen, die Künstler_innen im Bereich der bildenden Kunst, der Performancekunst, des Theaters oder des Tanzes präsentieren, ihren Ausdruck finden. Unter der Überschrift «Performance» gibt es Raum für sehr vieles. Sie öffnet einen Raum für Experimente.

Dominikus Müller: Aber ist es nicht ein Problem, dass «Performance» ein solch weites, offenes, nicht definiertes Konzept ist? Wäre es vielleicht nicht schlüssiger, diesen Begriff ganz aufzugeben und stattdessen beispielsweise «Live Art» zu sagen?

Séverine Fromaigeat: Eher das Gegenteil. Genau weil Performance so viel bedeuten kann, lassen sich mit diesem Begriff sehr viele Aktivitäten zusammenbringen. Von einem «Happening» zu sprechen, ist beispielsweise eine viel stärkere Engführung und schränkt deutlich mehr ein, zudem ist der Begriff sehr eng mit einer Person wie Allan Kaprow verbunden. Und im Gegensatz zu «Live Art» ist bei Performance auch die Dimension der Dokumentation mit enthalten.

Olivier Kaeser: Performance schliesst so viele unterschiedliche künstlerische Formen mit ein, von Roman Signers «Actions» bis zu Christian Marclays «Concerts». Sie alle versammeln sich mehr oder weniger unter demselben Dach, auch wenn die Künstler_innen unterschiedliche Ansätze haben und die jeweiligen Rahmenbedingungen anders sind.

Séverine Fromaigeat: Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum Performancekunst heute so relevant und interessant ist. Sie besitzt das Potenzial, in unterschiedliche Gebiete zu wechseln.

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Die Kurator_innen im Gespräch mit Dominikus Müller (Juni 2017, Foto: Sonja Thoms, Kunsthalle Basel)

Dominikus Müller: Tatsächlich scheint Performancekunst die aktuell angesagteste Kunstform zu sein. Was macht sie derart «zeitgenössisch»? Was sagt sie über unsere Gegenwart?

Elena Filipovic: Performancekunst war schon immer zeitgenössisch. Sie wendet sich immer an die Gegenwart, an das jeweilige «Jetzt». Ein grosser Teil der Welt und immer mehr auch die Kunstwelt sind heute von der Kultur des Konsums geprägt. Das Kunstwerk, egal wie radikal es ist, wird zu einem Konsumartikel. Die Performancekunst ist vielleicht eine der letzten Bastionen, die versucht, sich dem entgegenzustellen oder zumindest alternative Denkmodelle anzubieten.

Dominikus Müller: Aber bedeutet Performancekunst, zumindest bis zu einem gewissen Grad, nicht, den Körper zu einem Objekt zu machen und dann die Lebendigkeit dieses Körpers zu verkaufen?

Elena Filipovic: Bei der Performancekunst ist nicht immer klar, was genau zum Verkauf steht. Es stellt sich die Frage, wohin die verkaufte Sache «geht» beziehungsweise wie lange sie «leben» kann. Denn man verkauft ja nicht den Körper an sich. Kaufen kann man allerdings das Protokoll einer Aktion oder das Skript, die Dokumentation oder die Requisiten, bis hin zu der Möglichkeit, eine Performance noch einmal durchzuführen.

Tobias Brenk: Da bin ich mir nicht so sicher. Meiner Ansicht nach stehen Körper – und dazu gehört auch der Körper der Performer_in – sehr wohl zum Verkauf. Der Hype um bestimmte Künstler_innen sowie die Art und Weise, wie deren fotografierte Körper in den sozialen Medien benutzt werden, sind gute Beispiele dafür: Der Körper der Künstler_innen wird zu einem Konsumartikel. Aber zweifellos beruht die Performancekunst insbesondere auf der Gegenwart von Körpern, und das ist etwas, das man nicht kaufen kann – anwesend zu sein zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem Augenblick, der einzigartig und unwiederholbar ist.

Dominikus Müller: Viele der neueren Performances scheinen mit den Mechanismen der sozialen Medien zu spielen. Wie würdet ihr den Einfluss des Digitalen auf die Performancekunst und deren Paradigma der körperlichen Präsenz beschreiben?

Elena Filipovic: Ein wesentlicher Unterschied zwischen Performancekunst heute und ihren historischen Ursprüngen ist genau die heutige Unmittelbarkeit der Dokumentation und die vielfältige Nutzung der sozialen Medien. Früher gab es vielleicht ein paar grobkörnige Schwarz-Weiss-Fotografien, die Monate später in einer Zeitschrift erschienen. Heute kann alles mit dem Smartphone fotografiert oder gefilmt und sofort an sehr viele Menschen geschickt werden. Allerdings kann dies niemals die Aura der tatsächlichen Anwesenheit im selben Raum ersetzen. Und sehr viele Performances heute spielen genau damit – sie kommentieren die zeitgenössische Gesellschaft, aber dies ist nur eine Facette von Performancekunst. Es gibt noch viele andere.

Olivier Kaeser: Da sind zum Beispiel Performances, die mit Gerüchten arbeiten. Gianni Motti ist hier zu nennen, oder aktuell die Performances von Florence Jung, bei denen die Arbeit aus dem Hörensagen besteht. Oder man nicht weiss, ob etwas wirklich geschehen ist. Die Dimension des Mündlichen ist ein sehr wichtiger Teil in der Geschichte von Performancekunst. Es ist das Besondere der Performancekunst, dass sie immer auf einem Prozess basiert, wesentlich mehr als die bildenden Künste oder sogar auch der Tanz. Performancekunst ist letztlich immer ein Prozess mit offenem Ende.

Séverine Fromaigeat: Die Dokumentation war schon immer sehr wichtig für die Performancekunst – sie ist eine andere Form, in der Performances weiterexistieren, und eine andere Art und Weise, sie zu erleben. Und wer weiss, vielleicht würden wir hier gar nicht über Performancekunst reden, wenn es keine Fotos, geschriebenen Protokolle, Skizzen oder Videos davon gäbe. Wir bekommen nur eine Vorstellung von der Geschichte der Performancekunst – auch von der jüngsten Geschichte – durch die Dokumentation. Und dazu gehören auch die sozialen Medien und die mündliche Überlieferung.

Tobias Brenk: Aber unabhängig davon, ob eine Performance medial geschickt inszeniert ist oder verborgen ist und unter wenig Beachtung stattfindet: Das entscheidende Element dieser Kunst ist die Zusammenarbeit zwischen den Künstler_innen und ihrem Publikum. Indem sie im selben Raum anwesend sind, lassen sie zusammen die Performance entstehen.

Olivier Kaeser: Aus meiner Sicht ist dies auch ein Teil des Erfolgs von Performancekunst heute – das Gefühl, Teil von etwas auf derselben Ebene zu sein und ganz wörtlich auf demselben Boden zu stehen. Man kann ein Teil davon werden, man kann sich dazu verhalten. Und gerade in diesen unsicheren Zeiten können solche gemeinsamen Augenblicke mit einer direkten Beziehung zwischen den Künstler_innen und dem Publikum etwas wirklich Besonderes sein.

Tobias Brenk ist Dramaturg an der Kaserne Basel.

Elena Filipovic ist Direktorin und Kuratorin der Kunsthalle Basel.

Séverine Fromaigeat ist Kuratorin im Museum Tinguely, Basel.

Olivier Kaeser ist Co-Direktor des Centre culturel suisse in Paris.

Dominikus Müller ist freier Autor in Berlin.



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