Performance
Process

Eine Kooperation des Museum Tinguely,
der Kaserne Basel
und der Kunsthalle Basel,
in Partnerschaft mit dem Centre culturel suisse Paris

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«Ich beschäftige mich mit dem Bau von Realitäten, die einmal existieren sollen oder für die wir noch keinen Namen haben.»

Die Choreografin und Tänzerin Simone Aughterlony im Gespräch mit Dominikus Müller.

Dominikus Müller: Dein Stück für PerformanceProcess heißt «Biofiction». Es ist der dritte Teil einer Trilogie. Worum geht es bei dieser Trilogie? 

Simone Aughterlony: Ja, «Biofiction» ist die dritte Folge einer Trilogie, die selbst auch diesen Titel trägt. Hier arbeite ich mit der Performerin Jen Rosenblit und dem Musiker Hahn Rowe zusammen. Alle drei Werke beschäftigen sich mit dem Körper; allerdings immer unter einem anderen existenziellen Blickwinkel und als Versuch, unterschiedliche Biografien des Körpers zu entwerfen. Im Grunde soll ein Rahmen entwickelt werden, den Körper aus der Geschichte, in der Gegenwart und im Dialog mit einer Zukünftigkeit zu denken und zu schreiben.

DM: «Eine Biografie des Körpers» — was ist das? 

SA: Phil Hayes, mit dem ich bei «Show and Tell», dem ersten Teil der Trilogie zusammengearbeitet habe, sagte scherzhaft: Eine Biografie ist die übersichtliche Anordnung einiger Ereignisse aus dem eigenen Leben und das Auslassen der Teile, die man nicht so gerne mag. Daher ist sie letztlich eine Eigenmontage, ein sehr subjektives Konstrukt. In «Show and Tell» arbeiteten wir mit dem Körpernarrativ über unmittelbare physische Begegnung, und integrierten Fleisch und Blut. Insbesondere durch Schmerz nehmen wir doch unseren Körper bewusst wahr! Die zweite Folge der Trilogie, «After Life», beschäftigte sich mit den zwei gegensätzlichen Begriffen Körper und Seele. Aber sie beschäftigt sich auch ganz wörtlich mit dem Leben (life) nach (after) der Performance: «After Life» beginnt mit dem Ende der vorherigen Arbeit. Die Techniker sind da; man sieht die Hinterbühne, wo die Performer als Post-mortem-Figuren erscheinen. Spürbar wird die Stasis: Warten, Langeweile, Untätigkeit. Für uns war hier die kaum zu beantwortende Frage: Was machen wir mit den Trieben und Bedürfnissen des Körpers, wenn es keinen Körper mehr gibt, durch den diese befriedigt werden können?

DM: Und worum geht es dann im letzten Teil, «Biofiction»?

Bei «Biofiction» gab es den realen, echten Wunsch, künstliche Dualitäten wie Natur/Kultur, männlich/weiblich, Subjekt/Objekt genauer anzuschauen und mit deren Auflösung zu spielen. Wir entwickelten eine Aktion, die wir «Neo-Soziation» nannten. Bei der «Neo-Soziation» geht es um die Veränderung des Status zwischen Körpern und um die Wandlungen während dieses Prozesses. Wir griffen auf die Materialien zurück, die wir als Dinge und nicht so sehr als Objekte benutzt haben. Wir fragten nicht «Was kann ich damit tun?», sondern nahmen eine nicht besitzergreifende Haltung ein und halfen den Materialien, ihre eigene «Dinglichkeit» darzustellen. Ein Objekt ist ja etwas, das sich das Subjekt aneignet; ein Ding dagegen bedeutet, dass etwas «anders» erscheint und auf diese Weise unheimlich wird. Sich dem Ruf der Dinge und dem engen Verhältnis zwischen den Dingen zu widmen, ließ temporäre Assemblagen entstehen, aus denen dann wiederum Hybridkörper entstanden. 

Biofiction Image Jorge Leon

Simone Aughterlony & Hahn Rowe, «Biofiction» (Foto: Jorge Leon)

DM: Die Bühne wird hier also als ein Ort verstanden, an dem verschiedene Dinge und Körper zusammentreffen. Wie spricht man ein Ding an und wie eine Person — gibt es da Unterschiede? 

SA: Wir verbrachten sehr viel Zeit (ein Jahr) in dieser Landschaft aus Materialien und bauten ein enges Verhältnis zu ihnen auf; wir lebten mit Äxten, Holzscheiten, Werkzeugen, Baumstümpfen, Elektrogeräten, Moos, selbstgebauten Dildos, Seilen usw. zusammen. Die intensive Arbeit schien eine irrationale Liebe zu Materie zu fördern. Es entstand eine sexuelle Polyvalenz, die sich über all die Körper/Dinge in unserer Wildnis legte. Tatsächlich lässt sich «Biofiction» als eine Lovestory zwischen vielen beschreiben, auch wenn in der Arbeit eigentlich kein Narrativ entsteht, sondern sie eher zur Dekonstruktion des Narrativs von Stereotypen und dominanten normativen Systeme anregt. 

DM: Inwieweit ist «Biofiction» choreografiert oder geskriptet? 

SA: Es gibt natürlich eine Partitur, eine Reihe von Konstellationen. Aber letztlich geht es weit mehr darum, offen zu bleiben für alles, was geschieht. «Biofiction» ist ein Stück zwischen Möglichkeit und Wunsch. Wir wollten die Hierarchie der Sinne neu organisieren. Es ist wichtig, nicht immer mit der dominanten Form des Sehens zu arbeiten. Vielmehr geht es bei «Biofiction» vor allem darum, den Ruf der Dinge zu hören. Die Darstellungsform ist relativ flexibel — es gibt da auf jeden Fall unterschiedliche Geschlechterrollen, und wir bewegen uns zwischen ihnen. Beispielsweise erscheint das Holzspalten zunächst als ein recht monolithischer Akt. Aber nach einer Weile werden daraus mehrere Dinge: Es wird Vergnügen, es lässt Hybridformen entstehen, es erregt, es verletzt, und es choreografiert wieder den Körper.  

DM: Du hast sehr viel geschrieben und auch häufig mit Text und Sprache gearbeitet. In Stücken wie «Biofiction» aber gar nicht. Bist du der Sprache überdrüssig geworden?

SA: Ja, das stimmt, ich habe mich in der letzten Zeit sehr wenig mit dem gesprochenen Wort auseinandergesetzt. Aber vielleicht mache ich auch mal wieder etwas damit. Bei Sprache ist es halt so: Sie schafft diese reale Personalität. Sie individualisiert. In meinen letzten Arbeiten wollte ich weg von Identität und dem Aufbau des eigenen Ich. Ganz allgemein gesprochen ist für mich die Kunst eine praktische, weltbauende Tätigkeit. Ich beschäftige mich mit dem Bau von Realitäten, die einmal existieren sollen oder für die wir noch keinen Namen haben.

Simone Aughterlony & Hahn Rowe zeigen «Biofiction» am Sonntag, 1. Oktober 2017 um 19 Uhr in der Kaserne Basel. Mehr Informationen und Tickets auf der Website der Kaserne Basel.



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