Performance
Process

Eine Kooperation des Museum Tinguely,
der Kaserne Basel
und der Kunsthalle Basel,
in Partnerschaft mit dem Centre culturel suisse Paris

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«Ich weiß nicht, ob das, was ich tue, Performance ist.»

Die Künstlerin Florence Jung im Gespräch mit Dominikus Müller.

Dominikus Müller: Mit welchem «Material» arbeitest du bei deinen Performances?

Florence Jung: Ich weiß nicht, ob das, was ich tue, Performance ist. Ich fühle mich nicht angesprochen von Performancekunst. Ich möchte die Dinge vereinfachen. Ich will wissen, was geschieht, wenn man das Objekt — den sichtbaren Teil und auch die Dokumentation — und dann vielleicht auch die Präsenz des Künstlers bewusst ausklammert. Ich werde deutlich stärker vom Minimalismus als von den meisten Performancekünstlern beeinflusst, eine Ausnahme ist vielleicht Andy Kaufman. Ich sehe das nicht als eine ästhetische Entscheidung, sondern eher als einen Weg, ein Corpus von Werken zu entwickeln, die leicht, reduziert, instabil, ungewiss sind. Mein wahres Material sind eher Situationen. Ich kreiere inszenierte Situationen für das reale Leben. 

Dominikus Müller: Wäre dann die Beschreibung dessen, was du tust, „Situationen kreieren“? „Gerüchte kreieren“ würde aus meiner Sicht auch passen, da sich viele deiner Stücke im Verborgenen abspielen und nicht dokumentiert sind. Damit brauchen sie Leute, die sie gesehen haben und davon erzählen.

FJ: Zu den Situationen, die ich kreiere, gibt es keine Fakten, keine Beweise und keine visuelle Dokumentation — aber sie finden immer statt. Natürlich gibt es von solchen Situationen dann Gerüchte. Aber ich würde diese Gerüchte nicht als mein Medium bezeichnen; sie sind einfach nur das, was am Ende bleibt, weil meine Stimme nicht lauter sein soll als die der anderen Menschen. Was die Menschen erleben und was die Performer tun, ist genauso Teil des Stückes wie mein Konzept dafür. Jeder kann einen Teil davon für sich reklamieren. Aus diesem Grund dokumentiere ich meine Stücke auch nicht. Als ich begann, solche Situationen zu kreieren, kam natürlich die Frage auf, ob dies fotografiert oder gefilmt werden soll, aber da war nichts zu dokumentieren. Die meisten meiner Stücke sind unsichtbar oder lassen zumindest Zweifel darüber aufkommen, was inszeniert ist und was  einfach nur das pralle Leben ist, wenn man auf Details achtet. Daher entwickelte sich meine Arbeit immer mehr zu einer Art Storytelling. Und ich höre auch sehr gerne unterschiedliche Erzählungen über meine Arbeiten; manchmal kommen mir sogar selbst Zweifel, was jetzt das eigentliche Stück war. So war das auch vor ein paar Wochen. Ich schickte eine Freundin los, sie sollte auf die Fassade einer Galerie ein Graffiti malen, das dann von der nicht darüber informierten Galeristin entfernt werden sollte. Dies war mein Beitrag zu der Ausstellung. In genau dieser Nacht zeigte der Nachbar, der über der Galerie wohnt, einen Einbruchsversuch an. War das die Freundin, die ich geschickt hatte und die etwas mehr getan hat, als ich ihr aufgetragen hatte? Ich war nicht dort, ich weiß es nicht, aber die Galeristin hatte so ihre Zweifel.

DM: Es muss spannend sein, hinterher zu hören, was geschehen ist — oder eher, was vielleicht geschehen ist. 

FJ: Ja, das ist aufregend, weil solche Geschichten manchmal eine andere Richtung aufzeigen, in die sich das Stück vielleicht entwickelt hat, eine andere Möglichkeit. Es ist auch eine ganz pragmatische Entscheidung, nicht in der jeweiligen Situation, die ich kreiere, dabei zu sein. Ich schreibe nur das Konzept und sage den Performern, was sie tun sollen; aber dann passiert vielleicht etwas anderes, und darauf habe ich dann keinen Einfluss. Dabei zu sein oder gar die Situation zu dokumentieren, würde all diese Möglichkeiten verringern. Ich bevorzuge die Flut.

DM: Wo beginnt eine Arbeit und wo endet sie? Wo ziehst du die Linie?

FJ: Ich ziehe keinerlei Linie. Natürlich habe ich immer eine ziemlich genaue Vorstellung und versuche, jede mögliche Entwicklung einer Situation und die Parameter des Szenarios zu bedenken. Wenn ich mit Schauspielern arbeite, habe ich sogar noch mehr Kontrolle. Aber sobald es losgeht, ist das Ganze in der Welt und kann sich in vielerlei Weise entwickeln. Ich glaube, niemand kann diese Linie ziehen. Niemand kann das kontrollieren. Am Ende entscheidet man selbst nicht so viel – man versucht nur, sein Bestes zu geben. Das ist die ewige Frage von Marcel Duchamp: Wer macht das Kunstwerk? Der Künstler oder der Betrachter? Ich würde noch den Performer, die Kritiker, den Kurator und möglicherweise alle anderen, die ebenfalls an diesem Spiel beteiligt sind, hinzufügen. Daher kämpfe ich nicht gegen Zufälle, Abschweifungen und Missverständnisse. Ich integriere sie in die Arbeit.

DM: Von außen betrachtet, basieren sehr viele Elemente deiner Arbeit auf strengen konzeptionellen Entscheidungen. Aber wenn du darüber sprichst, klingt alles weitaus organischer und pragmatischer.

FJ: Ich habe kein konzeptionelles Motto wie «keine Dokumentation» oder «kein Gespräch mit der Presse» oder «kein Bild», ich entscheide immer im Einzelfall. Aber bislang habe ich mich immer dagegen entschieden, ein Bild hinzuzufügen, da es in meiner Vorstellung nichts Relevantes beiträgt. Und Gleiches gilt für die Entscheidung, keine Bilder von mir zu veröffentlichen.

DM: Wenn man bei der Google-Bildersuche deinen Namen eingibt, dann sind die ersten Treffer Bilder der Berliner Schauspielerin Florence Jung. Das ist doch ein lustiger Zufall? 

FJ: Ich finde das wunderbar. Ich hoffe, sie wird berühmt, und dann kann ich mich immer hinter ihrem Bild verstecken. Oder falls sie keine Arbeit findet, könnte ich sie engagieren, damit sie für mich lebt. Sie ist genauso Florence Jung, wie ich es bin, oder?

DM: Welche Rolle spielt für dich die physische Präsenz? Zumindest in meinen Augen legt die Entscheidung, keines deiner Stücke zu dokumentieren und nichts für eine digitale Verbreitung zu unternehmen, den Fokus auf eine physische Präsenz.

FJ: Ich bin auf keiner Social-Media-Plattform, aber ich bin auch nicht dagegen. Das ist einfach nicht mein Ding. Aber ich mag es, wenn die Menschen meine Arbeit so viel, wie sie möchten, dokumentieren. Warum nicht? Ich dokumentiere sie selbst nicht, aber das bedeutet ja nicht, dass andere nicht anders handeln können. Genaugenommen liebe ich es, wenn die Menschen es tun, denn statt offizieller Bilder, bekommt man mögliche Bilder. Und in ein paar Jahren gibt es hoffentlich eine Reihe von Bildern meiner Arbeiten — allerdings nicht meine Bilder. Es wird ausschließlich der Blick des Publikums sein. Das ist eine der entscheidenden Freiheiten des Smartphone-Zeitalters: Man nimmt das Bild auf, das man möchte. Ich halte auch nichts davon, die Menschen davon abzuhalten. Ich möchte, dass meine Perspektive eine unter vielen ist, nicht die dominierende.

DM: Du schaffst oft eine Atmosphäre des Argwohns, der Skepsis und eines besonderen Bewusstseins. Zweifel, auch Paranoia, Spekulation — sind diese Konzepte wichtig in deiner Arbeit? 

FJ: Ich lese viele Nachrichtenbeiträge. Ich habe das immer schon gemacht. Ich bin weit draußen auf dem Land aufgewachsen, und damals hatten wir nur einen Fernseher. Und wenn etwas im Fernsehen kam, dann war das so. Heute, in einem Zeitalter, in dem sich sofort alle Nachrichten und Bilder verbreiten, ist jeder latent paranoid, und wir alle hegen sehr viele Zweifel. Das interessiert mich, ich sehe darin ein zentrales Element unserer heutigen Gesellschaft. Das gilt auch für meine Arbeiten, da ist dieses Gefühl, dass man nie sicher sein kann, was gerade geschieht oder geschehen ist. Wahrheit und Lüge liegen sehr nah beieinander. Negativ betrachtet wäre das „Paranoia“, ich würde es eher positiv sehen und «Mysterium» nennen. Ich kreiere gerne eine Situation, in der man nicht ganz sicher ist, was zum Kunstwerk gehört und was nicht, was inszeniert ist und was nicht. Das Gleiche gilt für mich: Ich kann nicht alles kontrollieren, ich kann nicht jede Minute planen. Also muss ich dem Leben vertrauen. Die Chancen stehen immer gut, dass sich die Dinge besser, als ich dachte, entwickeln.

Die Arbeit von Florence Jung ist im Rahmen von «New Swiss Performance Now» in der Kunsthalle Basel zu sehen. Vernissage: Donnerstag, 18. Januar 2018, 19 Uhr



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