Performance
Process

Eine Kooperation des Museum Tinguely,
der Kaserne Basel
und der Kunsthalle Basel,
in Partnerschaft mit dem Centre culturel suisse Paris

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«Wir kochen buchstäblich die Fasnacht wieder auf, konsumieren sie und verleiben sie uns ein.»

Der Künstler Johannes Willi im Gespräch mit Dominikus Müller.

Dominikus Müller: Johannes, dein Projekt für New Swiss Performance Now klinkt sich in die Basler Fasnacht ein, die direkt im Anschluss an die Ausstellung in der Kunsthalle Basel beginnt. Bist du ein Fasnacht-Fan? 

Johannes Willi: Um ehrlich zu sein: nicht so. Ich habe bei der Fasnacht eigentlich nie richtig mitgemacht. Aber man kann während dieser Tage in Basel mehr oder weniger Party machen wie man will. Die Fasnacht ist eine Art Gefäß, in dem sich die Stadt austobt, sei das jetzt traditionell oder mit einem 72-Stunden-Rave oder sowas. Während der Fasnacht gibt es auf jeden Fall keine Lärmklagen. Was mich an der Fasnacht meisten reizt, ist die Möglichkeit, mit der ganzen Stadt in Kontakt treten zu können, zumindest mit dem Teil der Bevölkerung, der dort mitmacht. 

DM: Die Grenze soll also aufgehoben werden zwischen den Künstlern im Kunstraum und den Leuten auf der Straße? 

JW: Genau. Das Ganze geht zurück auf eine Idee des Basler Kurators Benedikt Wyss. Mit seinen «Feldexperimenten» hinterfragt er im Grunde genommen das künstlerische Potential der Fasnacht. Die Fasnacht ist ja der Moment, an dem sich unglaublich viele Baslerinnen und Basler auf eine Art künstlerisch betätigen. Dazu gehören sehr wohl auch zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler. Junge aber halten sich im Großen und Ganzen zurück. Es herrscht eine Berührungsangst zwischen Kunstszene und Fasnacht, auch zwischen Fasnachtsszene und zeitgenössischer Kunst. Diese Hemmschwelle halten wir für unnötig. Sie existiert in dieser Form auch noch nicht lange — man denke an Jean Tinguely und seine Künstlerfreunde oder auch Joseph Beuys. Benedikt und auch Claudio Vogt von der Kunsthalle sind Teil einer Fasnachtsclique namens «Die Unbachene». Ein Teil meiner Performance findet in der Kunsthalle statt, am Sonntag, dem letzten Tag der Ausstellung. Um vier Uhr morgens in der Nacht zum Montag wird dann die Fasnacht mit dem «Morgestraich» eingeläutet. Dann bewegt sich alles nach draußen und läuft während der kommenden drei Tage im Rahmen der Fasnacht weiter. Ich werde die Clique ausrüsten und durch die Fasnacht begleiten.

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Johannes Willi, «I Like The Universe And The Anthropocene Likes Me», 2017, Paramo — Kolumbien. Foto: Flavia Mielnik

DM: Und wie wird das aussehen? 

JW: Jede Clique hat normalerweise ein Thema, ein Sujet. Schon rein visuell gibt es sehr viele Regeln, es gibt Larven, ein Kostüm und die sogenannte Laterne, die die Thematik versinnbildlicht und vorneweg getragen wird. Sicher gibt es da noch mehr Konventionen, aber so genau weiß ich das nicht. Ich arbeite damit, wie ich es mir als Außenstehender erschließen kann. 

DM: Was heißt das nun konkret? 

JW: Wir werden als Gruppe in den Wald gehen und uns dort unser Material für die Kostüme zusammensuchen. Wir werden kein Thema, sondern den Wald an sich darstellen. Wir werden als Wald verkleidet durch die Stadt laufen. Die Laterne besteht in unserem Fall aus einem sehr großen Kupferkessel. Während der Fasnacht werden für gewöhnlich Orangen ans Publikum verteilt, es werden Blumen gestreut. Wir sammeln das alles wieder ein und kochen es in unserem Kupferkessel — wir kochen buchstäblich die Fasnacht wieder auf, konsumieren sie und verleiben sie uns ein. Es gibt normalerweise auch haufenweise Räppli. Wir werden dagegen Laub werfen. In der Kunsthalle selbst werde ich Pflanzen und Bäume verteilen und in der Mitte wird die Laterne zu sehen sein. Sie wird dann dort in einem feierlichen Ritual mit Trommeln und Pfeifen eingeweiht — «eingepfiffen», wie es heißt. Und am Ende der Woche werde ich in einem Projektraum namens Bikini die Bäume einbetonieren, wie Mafiaopfer, die in der Stadt etwas gesehen haben, was sie nicht sehen sollten. Dann werde ich sie wahrscheinlich im Rhein versenken. 

DM: Warum der Wald? Was reizt dich am Wald?  

JW: Ich finde den Wald als Metapher spannend, weil er eigentlich alles in sich aufnehmen kann. Der Wald kann für alles stehen. 

DM: Es gibt ja auch eine andere Serie, in der du dich mit dem Naturbegriff auseinandersetzt, namens «I Like the Universe And the Anthropocene Likes Me». Dafür stapfst du im Bärenkostüm durch die Natur. Was hat es damit auf sich? 

JW: Als ich vor einiger Zeit in einem Schweizer Nationalpark an der Grenze zu Italien wandern war, da ist mir eine Sache extrem aufgefallen: In diesem Nationalpark darf man als Gast, also als Mensch, nur auf ganz schmalen Pfaden wandern. Und man darf diese Pfade nicht verlassen. Anders gesagt: Ich als Mensch war das Einzige, was dort nicht anwesend sein soll. Ich durfte die Natur nur mit den Augen abtasten. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Außerdem gibt’s in der Schweiz keine Bären mehr, und wenn dann alle paar Jahre ein italienischer Bär über die Grenze kommt, dann drehen alle durch. Es gibt schon ein gewaltiges Verlangen nach Natur und ein großes Bedürfnis nach Renaturalisierung, nach Rückbindung an die Natur. Sowas interessiert mich. Und das findet sich natürlich auch im Waldthema für die Fasnacht. 

DM: Wolltest du mit der Fasnacht auch irgendwo hingehen, wo du sonst nicht hingekommen wärst? 

JW: Genau. Es ging schon darum, sich mit etwas auseinanderzusetzen, von dem ich eigentlich keine Ahnung habe. Etwas, das unter Umständen eine Menge Potenzial hat, das sich mir bislang entzogen hat. Für mich ist diese Arbeit auch ein Stück weit eine Recherche, die mich weiterbringt. 

DM: Darum geht es ja immer wieder in deinen Arbeiten, dass man sich irgendwo reinbegibt, was man nicht kennt und dann mit dem, was man zur Verfügung hat, etwas daraus macht? 

JW: Auf jeden Fall. Man könnte das auch als eine Art künstlerischer List bezeichnen, ein bewusstes Sich-Begeben in eine Ahnungslosigkeit. Dann gerät man ins Schwimmen, weil man nicht weiß, mit welchen Parametern man es zu tun hat. Dabei ist es zentral, dass man sich dem, was man vorfindet, auch lustvoll hingibt und schaut, was man davon lernen kann. So ging’s mir auch mit der Fasnacht. Das ist auch eine Art Gefäß, aus dem man etwas rausholen kann. 

DM: Also im Grunde ein ergebnisoffenes Vorgehen? 

JW: Ja genau. Als Künstler funktioniere ich sehr stark nach diesem Prinzip. Da geht es um ein Reagieren und ein Zulassen. Ich finde es spannend, dass in solchen Situationen nicht nur ich als Künstler die Deutungshoheit habe, sondern auch die anderen. 

DM: Welche Rolle spielt denn bei einem solchen Vorgehen das Prinzip der Improvisation oder des Bastelns? 

JW: Das ist auch wieder eine Frage der Ahnungslosigkeit. Ich betreibe das alles schon seriös. Das ist kein Witz für mich. Ich möchte mir ein Wissen aneignen, das vielleicht nicht per se gefragt ist, ein Wissen, das auf den ersten Blick keinen Sinn ergibt, und das man zunächst einmal nicht auf den Markt bringen kann. Es geht mir jetzt nicht drum, als Schweizer die perfekte Uhr herzustellen.  

Die Arbeit von Johannes Willi ist im Rahmen von «New Swiss Performance Now» in der Kunsthalle Basel zu sehen. 



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