Performance
Process

Eine Kooperation des Museum Tinguely,
der Kaserne Basel
und der Kunsthalle Basel,
in Partnerschaft mit dem Centre culturel suisse Paris

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«Und dann stellt sich die Frage, warum man die einzelnen Stücke nicht dort zeigt, wo sie hingehören.»

Die Choreografin und Tänzerin La Ribot im Gespräch mit Dominikus Müller.

Dominikus Müller: Bei PerformanceProcess zeigst du ein Stück mit dem Titel «Distinguished Hits 1991–2000», ein Best-of der berühmten «Distinguished Pieces», kurze Tanzstücke, die du in den 1990er-Jahren entwickelt hast. In dieser Zeit hast du die Bühne des Tanztheaters gegen Museums- und Ausstellungsräume getauscht. Warum hast du in diesen neuen Kontext gewechselt? 

La Ribot: Ich bin natürlich nicht die Erste, die so etwas macht. Dieses Crossing-over in Räume, in denen zeitgenössische Kunst präsentiert wird, war in den 1960er-Jahren ziemlich verbreitet und auch bei der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr beliebt. In der Kunst gab und gibt es solche Bewegungen immer wieder. In den 1980er-Jahren allerdings tendierte man eher wieder zu einer klaren Abgrenzung. Ich habe daher versucht, die Dinge wieder zusammenzubringen, weil sich das Theater für den Tanz als eine Sackgasse erwiesen hatte und er dort von der Musik und der Geschichte beziehungsweise der Handlung abhängig war. Tanz galt hauptsächlich als etwas Repräsentatives, etwas Darstellendes. Aber meiner Ansicht nach ist zeitgenössischer Tanz eine zeitgenössische Kunst, er ist auch etwas Visuelles. Und dann stellt sich die Frage, warum man die einzelnen Stücke nicht dort zeigt, wo sie hingehören. 

DM: Ist das Publikum in den jeweiligen Räumen anders? 

LR: Heute ist das Publikum im Großen und Ganzen überall gleich. Natürlich hat man in einem klassischen Kunstmuseum und in einem traditionellen Theater ein anderes Publikum, aber dies gilt nicht für all die zeitgenössischen Räume, für all die Theater, Black Boxes, Galerien, Garagen, Zimmer, Hotels — dort hat man heute überall das gleiche Publikum. Und dieses Publikum ist großartig. Die Menschen sind extrem offen und empfänglich — viel offener, als einige Programmplaner denken. Trotzdem ist es immer noch wichtig, visionäre Projekte wie PerformanceProcess voranzubringen. 

Distinguished Hits 1991 2000 Cnd Paris 2016 Photo Image Mémoire Corps 3

La Ribot, «Distinguished Hits 1991—2000», Foto: Image Mémoire Corps

DM: Einige Stücke, die du in «Distinguished Hits 1991—2000» zeigst, sind über 25 Jahre alt. Wie fühlen sich diese Stücke nach so langer Zeit an? 

LR: Ich habe auch ein anderes Stück mit dem Titel «Panoramix (1993—2003)», das ich vor kurzem in Berlin gezeigt habe. «Panoramix» besteht aus allen meinen 34 «Distinguished Pieces» aus den 1990er-Jahren, «Distinguished Hits» nur aus den Besten der Besten. Als ich in Berlin alle Stücke getanzt habe, wurde mir klar, dass diese Stücke Teil meines Lebens sind. Ich musste nicht lange für sie proben, sie sind einfach noch da. «Distinguished Hits» sind so etwas wie ein Resümee. 

DM: Die «Distinguished Pieces» standen ja auch auf dem Kunstmarkt zum Verkauf? 

LR: Ja, ich habe sie verkauft, aber nur bis zum Jahr 2000. Ich habe die Stücke einzeln verkauft, weil ich etwas Flüchtiges anbieten wollte — und so die Frage stellen wollte, welchen Wert wir etwas beimessen, das in einem Augenblick geschieht und dann wieder weg ist. Ich nannte die Menschen, die die Stücke kauften, «distinguished proprietors» und versprach ihnen, sie immer darüber zu informieren, wo und wann die Stücke gezeigt werden und sie dann auch zu nennen. Als ich Anfang der 2000er-Jahre aufgehört habe, an den «Distinguished Pieces» zu arbeiten, habe ich auch keine Tanzstücke mehr verkauft. Zehn Jahre später, 2011, als ich eine neue Performance/Serie mit dem Titel «PARAdistinguidas» entwickelt habe, fand ich die Vorstellung, sie zu verkaufen, total langweilig. Ich wollte die Stücke nicht zu Merchandise verkommen lassen. Heute verkaufe ich lieber meine Videos.

DM: Kürzlich habe ich ein Interview gelesen, in dem du über fünf verschiedene «Gehirne» oder mentale Faktoren sprichst, die man als guter Performer braucht. Das habe ich nicht ganz verstanden — könntest du mir diese Theorie der «fünf Gehirne» genauer erklären? 

LR: Ja klar, ich muss nur selbst wieder alles zusammenbringen: Als «gute Tänzerin» braucht man verschiedene Faktoren, verschiedene «Gehirne», fünf genau gesagt, und muss sie miteinander kombinieren. Erstens muss man sich mental auf seinen Körper konzentrieren — dies ist das Gehirn der körperlichen Abläufe; zweitens muss man sich auf das Soziale, auf das Team einstellen — dies ist das Gehirn für die Mitperformer_innen; drittens muss man sich auf den Kontakt mit der Realität vorbereiten — das Drumherum, das Gebäude, das Publikum, die Temperatur, der Geruch und so weiter. Viertens muss man sich mental über alle anstehenden Aufgaben im Klaren sein, die Choreografie, die Improvisation, die Texte … Und fünftens schließlich muss man bereit für die Fantasie sein — all die Dinge, die gar nicht real sind, sondern sich nur in deinem Kopf abspielen. Dieses „Gehirn“, das Gehirn der Fantasie setzt erstaunliche Dinge, Träume, Bilder und verrückte Verknüpfungen in deinem Kopf frei. Das ist absolut überwältigend und fantastisch. Man braucht das unbedingt, um interessant zu sein. 

DM: Und welches Gehirn ist dein Favorit?

LR: Da gibt es keinen Favoriten. Das ist auch nicht statisch. Man braucht sie alle — und bewegt sich immer zwischen ihnen hin und her, nur dann entsteht eine Performance. Es geht nur, wenn alle fünf Aspekte gleichzeitig aktiviert werden. 

DM: So wie du gesprochen hast, dachte ich der fünfte Faktor, in dem es um die Fantasie geht, ist dein Liebling, aber vielleicht liege ich da ja auch falsch. 

LR: Vielleicht stimmt es ja schon, dass ich dieses Gehirn besonders gern mag. Aber allein damit geht es auch nicht, sonst würde man durchdrehen. Ich erlebe so viele Menschen, die keinerlei Fantasie haben. Sie sind langweilig. Wenn sie tanzen, dann geschieht gar nichts. Sie tun einfach nur, was sie tun sollen, aber stellen sich nichts vor, während sie es tun. Sie besitzen den perfekten Körper für ihre Arbeit, aber da springt kein Funke über. Insofern stimmt es schon, Fantasie ist sehr gut — und sehr wichtig.

La Ribot zeigt ihre «Distinguished Hits 1991–2000» am Freitag, 29. September 2017 um 20 Uhr in der Kaserne Basel. Tickets und mehr Informationen finden sich hier.



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